Mir ist aufgefallen, dass Thais kaum jammern. Jammern ist hier so gut wie nie zu hören. Egal, ob die Sonne brennt, der Verkehr stillsteht oder der Regen plötzlich alles unter Wasser setzt – Thais nehmen es gelassen hin. Ein kurzes Lächeln, ein Schulterzucken, vielleicht ein „mai pen rai“ – und das Leben geht weiter.
Früher habe ich Dinge oft viel zu ernst genommen, habe manchmal gejammert oder dramatisiert. Seit ich hier lebe, bin ich in den meisten Situationen deutlich gelassener geworden – aber ganz ehrlich, nicht in allen klappt es schon. Da ich viel Zeit mit Thais verbringe, merke ich allerdings, wie ihre Gelassenheit auf mich abfärbt. Stück für Stück nehme ich Dinge nicht mehr so ernst wie früher – ein echter Unterschied zu meinem alten Ich.
Gelassenheit statt Groll
In Europa würde man in solchen Momenten schnell klagen oder sich beschweren – über das Wetter, den Verkehr, den lauten Nachbarn oder das Essen im Restaurant. Schon Kleinigkeiten führen oft zu hitzigen Debatten oder Aufregung.
In Thailand passiert das kaum. Nicht, weil hier alles perfekt wäre, sondern weil viele Thais gelernt haben, dass Ärger nichts ändert – und dass es sich leichter lebt, wenn man Dinge annimmt, wie sie sind.
Das berühmte „mai pen rai“ bedeutet nicht nur „macht nichts“ oder „nicht schlimm“. Es steht für eine ganze Lebenshaltung: sich nicht über Kleinigkeiten aufregen, sondern das Beste daraus machen.

Gelassen bleiben – auch bei großen Sorgen
Auch bei größeren persönlichen Problemen zeigt sich die thailändische Gelassenheit. Das heißt nicht, dass Thais keine Sorgen haben – im Gegenteil, familiäre Schwierigkeiten, finanzielle Herausforderungen oder gesundheitliche Sorgen gibt es genauso wie überall. Aber sie neigen dazu, diese Probleme nicht öffentlich auszubreiten oder laut zu beklagen.
Stattdessen suchen sie Unterstützung bei der Familie oder spirituellen Praktiken wie Gebeten oder Tempelbesuchen. „Mai pen rai“ hilft dabei, Energie zu sparen und die Dinge ruhig anzugehen, ohne sich in Emotionen zu verlieren. Es ist eine Form der inneren Selbstkontrolle: man akzeptiert, dass das Leben manchmal schwer ist, und versucht gleichzeitig, eine klare Sicht zu behalten, um Lösungen zu finden.
Hart im Nehmen – selbst bei Schmerzen
Ein weiterer Aspekt, den ich oft beobachte: Thais sind erstaunlich hart im Nehmen, auch was Schmerzen angeht. Viele arbeiten in körperlich anstrengenden Berufen oder müssen mit Hitze, Regen oder schweren Lasten zurechtkommen. Beschwerden oder kleinere Verletzungen werden pragmatisch hingenommen – man zeigt Ausdauer und Geduld, statt sich öffentlich zu beklagen.
Das heißt nicht, dass Schmerzen nicht existieren, sondern dass man gelernt hat, damit anders umzugehen: ruhig, kontrolliert und ohne das Umfeld zu belasten.
Lächeln als Schutz und Brücke
Das Lächeln der Thais ist kein bloßes höfliches Zeichen – oft steckt echte innere Stärke dahinter. Mit einem Lächeln lassen sich Spannungen lösen, Missverständnisse vermeiden und Situationen entspannen. Es bedeutet so viel wie: „Ich bleibe ruhig, auch wenn gerade etwas nicht so läuft, wie es sollte.“
Selbst in Situationen, in denen Europäer laut werden würden – etwa bei einem Fehler im Restaurant oder einer langen Wartezeit – bleibt der Ton freundlich.

Das hat nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern mit einem anderen sozialen Verständnis: Harmonie ist wichtiger als Rechthaben.
Vom Leben getragen statt vom Plan getrieben
Während in Europa vieles durch Planung, Kontrolle und Perfektion bestimmt ist, akzeptieren Thais, dass das Leben manchmal einfach anders läuft. Wenn der Bus zu spät kommt oder das Wetter plötzlich kippt, wird improvisiert – nicht gemeckert.
Diese Flexibilität hat etwas Befreiendes: Wer weniger kämpft gegen das, was ist, spart Energie für das, was wirklich zählt.
Was man daraus lernen kann
Das bedeutet nicht, alles still hinzunehmen oder Probleme zu ignorieren. Aber es zeigt, wie viel leichter der Alltag wird, wenn man Gelassenheit als Stärke begreift.
Anstatt sich in Ärger hineinzusteigern, kann man üben, einen Moment innezuhalten, zu atmen – und zu denken: mai pen rai.

Der Buddhismus lehrt, dass Leiden ein Teil des Lebens ist und dass man mit Achtsamkeit und Gleichmut darauf reagieren kann, anstatt sich von Emotionen überwältigen zu lassen. Ich erkenne oft Ähnlichkeiten zwischen Thailand und Italien – in manchen Lebensweisen, in der Art zu genießen oder im Blick auf das, was wirklich zählt.
Aber in diesem Punkt ist es nun ganz anders: Diese thailändische Gelassenheit und innere Stärke wirkt völlig anders als die italienische Mentalität, die ich ebenfalls kenne. In Italien wird viel diskutiert, laut reagiert und jede Emotion bricht ungehemmt hervor.
Ich glaube, das thailändische Nicht-Jammern hat viel mit Vertrauen zu tun. Mit dem Gefühl, dass das Leben schon irgendwie weitergeht – und dass Aufregen nur Energie kostet.

Natürlich gibt es auch in Thailand Sorgen und Probleme. Aber die Art, wie man ihnen begegnet, ist eine andere. Hier erkenne ich übrigens Ähnlichkeiten zur italienischen Lebensart: Auch dort ist das Genießen des Moments wichtiger als das ständige Streben nach Kontrolle.
Wenn etwas nicht nach Plan läuft, sucht man nicht gleich nach einem Schuldigen. Stattdessen wird eine Lösung gefunden, vielleicht ein kleiner Scherz gemacht – und dann geht es einfach weiter. Genau diese Gelassenheit macht das Leben in Thailand so angenehm.
Ein kleines Stück Leichtigkeit
Gelegentlich meldet sich noch dieses alte europäische „Das darf doch nicht sein!“. Dann akzeptiere ich, dass manches einfach so ist, und spüre, wie es leichter wird. Vielleicht liegt die wahre Kunst nicht darin, dass alles gut ist, sondern dass man es einfach gut sein lassen kann.
Es braucht wohl ein ganzes Leben – oder zumindest viele Jahre gelebte Praxis – mit der buddhistischen Lehre, um diese Gelassenheit wirklich zu verinnerlichen. Aber wie man an mir sieht: Wenn man hier lebt, beginnt diese Haltung ganz von selbst, einen zu prägen.